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25-12-2024 13:20
Wissenschaft kompakt
25 Jahre nach Orkan LOTHAR
Heute vor 25 Jahren, am 25.12.1999, war über West- und Mitteleuropa
noch alles ruhig. Über dem Nordatlantik jedoch bahnte sich eine
kleine Tiefdruckwelle ihren Weg. Aus dieser kleinen Welle sollte
innerhalb von 24 Stunden ein verheerender Sturm entstehen, der als
Orkan LOTHAR über Deutschland hinwegfegte sollte.
Orkan LOTHAR nahm seinen Ursprung als kleine Störung, welche sich am
24.12.1999 vor der amerikanischen Ostküste formierte. Das Tief zog
unter mäßiger Vertiefung über den Atlantik und lag am 26.12.1999 um
00 UTC mit einem Kerndruck von 984 hPa noch westlich des Ausgangs des
Englischen Kanals. Die weitere Entwicklung des Tiefs war dann nahezu
explosionsartig. Innerhalb von nur sechs Stunden lag der Kern des
Orkantiefs mit einem Druck von 961 hPa nordwestlich von Paris. Über
dem Nordwesten Frankreichs gab es Messstationen die einen Druckfall
von über 25 hPa in nur drei Stunden registrierten. In unseren Breiten
spricht man bereits von einer Bombogenese, also einer sehr schnellen
und starken Tiefentwicklung, wenn der Kerndruck innerhalb von 24
Stunden um 24 hPa fällt. Hier wurden diese Werte also bereits
innerhalb von drei Stunden beobachtet.
Auch in Deutschland kam es zu teils rasanten und starken
Luftdruckabfällen. In Karlsruhe beispielsweise fiel der Druck von
1005 hPa am Abend des 25.12.1999 auf 975 hPa am 26.12.1999 um 13 Uhr
MEZ(also etwa 30 hPa innerhalb von 12 Stunden). An der Station in
Karlsruhe wurden auch die stärksten Böen im Flachland mit 151
Kilometern pro Stunde gemessen. Auf den Bergen Süddeutschlands lagen
die Windgeschwindigkeiten noch deutlich darüber. Beispielsweise
meldete die Station Weinbiet am 26.12.1999 Spitzenböen von 184
Kilometer pro Stunde, auf dem Feldberg im Schwarzwald wurden 242
Kilometer pro Stunde registriert. Die höchsten Windgeschwindigkeiten
traten am bayerischen Wendelstein mit 259 Kilometern pro Stunde auf.
Durch die extrem hohen Windgeschwindigkeiten traten im Zusammenhang
mit Orkan LOTHAR enorme Schäden an der Infrastruktur auf. In
Süddeutschland waren viele Haushalte für mehrere Stunden ohne Strom.
In Baden-Württemberg wurden große Waldschäden durch den Orkan
verursacht. Insgesamt wurde das Dreifache des Jahreseinschlags (30
Millionen Festmeter) in Baden-Württemberg entwurzelt oder abgeknickt.
Die Aufräumarbeiten hielten mehrere Jahre an. Der gravierende
Einschnitt in den Waldbestand des Schwarzwaldes ist bis heute
erkennbar. Nicht nur in Deutschland waren die Auswirkungen des Orkans
verheerend, auch in Frankreich, Österreich und der Schweiz kam es
neben Sturmschäden an Wald und Infrastruktur auch zu menschlichen
Verlusten. Insgesamt mussten 140 Tode (davon 13 in Deutschland)
verzeichnet werden. Schätzungen zu Folge beläuft sich der
gesamtwirtschaftliche Schaden von Orkan Lothar in Europa auf 11,5
Milliarden Euro.
In den Tagen nach dem Orkan mussten die Wetterdienste viel Kritik
einstecken. Es sei zu kurzfristig gewarnt und das Ausmaß des Sturms
nicht richtig erkannt worden. Fakt ist, dass die Tiefentwicklung von
allen Modellen, vor allem aber von der deutschen Modellkette
erheblich unterschätzt wurde. Grund dafür, war unter anderem, dass
der Orkan zu kleinräumig war und sich zu schnell vertieft hatte.
Diese Entwicklung konnten die numerischen Modelle nur schlecht
erfassen und auch nicht richtig auflösen. Die Frage stellt sich also,
ob sich in den letzten 25 Jahren etwas getan hat.
Veränderungen seit Ende der 90er Jahre gab es zum einen bei den
numerischen Modellen an sich als auch bei der Datenerfassung (Was ist
ein numerisches Modell?). Anfang Dezember 1999 wurde eine damals neue
Modellkette im Deutschen Wetterdienst in den operationellen Dienst
gestellt. Das numerische Global-Modell GME besaß damals eine
Gitterauflösung von 60 Kilometern. Das deutsche Lokalmodell (LME)
umfasste von seiner räumlichen Ausdehnung in etwa Europa und besaß
eine Maschenweite von sieben Kilometern. Zum Vergleich besitzt das
heutige, deutsche Globalmodell ICON eine Maschenweite von 13
Kilometern. Neben einem Lokalmodell gibt es nun mit ICON-D2 auch ein
Regionalmodell mit einer Maschenweite von etwa 2,1 Kilometern. Zudem
hat sich auch die vertikale Auflösung der Atmosphäre in den Modellen
um ein Vielfaches verbessert.
Ende der 90er Jahre wurden im Europäischen Zentrum für
Mittelfristvorhersage (EZMWF) die ersten Ensemble-Vorhersagen im
operationellen Betrieb gerechnet. Eine Ensemble-Vorhersage dient zur
Abschätzung der Unsicherheit von numerischen Simulationen. Dabei
werden leicht unterschiedliche Anfangszustände der Atmosphäre
herangezogen, und dessen Auswirkungen auf die Simulationen
miteinander verglichen. Damals steckte diese Methode noch in den
Kinderschuhen. Heutzutage werden am ECMWF 100 Simulationen im
Ensemble berechnet. Auch die deutsche ICON-Kette berechnet
mittlerweile mehrere eigene Ensemblevorhersagen.
Neben der Auflösung und Bereitstellung von numerischen Wettermodellen
hat sich auch die Datenassimilation der Modelle deutlich verbessert.
Es werden mittlerweile weit mehr Daten zur Erfassung des
Anfangszustandes herangezogen. Auch die Auflösung und Verfügbarkeit
von Daten hat sich weiterentwickelt. 1999 beobachtete noch ein
EUMETSAT-Wettersatellit der ersten Generation unser Wetter vom All
aus. Damals lieferten die Meteosat Satelliten jede halbe Stunde ein
Bild mit einer Auflösung von fünf Kilometern direkt unterhalb des
Satelliten. Anfang 2004 ging dann der erste Metesoat Satellit der
zweiten Generation operationell in Betrieb. Mittlerweile ist der
erste Satellit der dritten Generation aktiv. Er sendet alle 10
Minuten Bilder von 16 unterschiedlichen Kanälen auf die Erde mit
einer räumlichen Auflösung von ein bis zwei Kilometern. In einem
sogenannten ?rapid-scan Modus? sind sogar alle 2,5 Minuten aktuelle
Satellitenbilder verfügbar.
All dies führte in den letzten Jahrzehnten zu einer signifikanten
Verbesserung der numerischen Wettervorhersage. Die Qualität einer
2-Tages-Prognose Anfang der 80er entspricht in etwa einer
5-Tages-Prognose Anfang der 2000er und ist vergleichbar mit der
Vorhersagegüte einer 7-Tages Prognose heute. Diese technische
Weiterentwicklung wurde vor allem durch die größere Rechenleistung
des Großrechners des Deutschen Wetterdienstes ermöglicht. In den
90ern wurde im Rechenzentrum des DWDs gerade der ?Cray YMP? mit einer
Leistung von unter einem GigaFlop pro Sekunde durch eine ?Cray T3E?
ersetzt. Aktuell verfügt der Deutsche Wetterdienst über einen
leistungsstarken Supercomputer der Firma NEC. Das seit 2020 in
Betrieb genommene System NEX SX-Aurora Tsubasa verzeichnet eine
Spitzenleistung von bis zu 5,6 Petaflops, das entspricht
5,600?000?000?000?000 Rechenoperationen pro Sekunde.
Trotz der Verbesserungen in der numerischen Wettervorhersage und der
Datenerfassung wird auch weiterhin nicht alles bis ins Detail
vorhersagbar sein. Vor allem sehr kleinräumige Ereignisse wie
einzelne Gewitterzellen und Tornados können im operationellen Betrieb
nicht von Wettermodellen exakt prognostiziert werden.
MSc Sonja Stöckle
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 25.12.2024
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